Jedes Kind trägt ins sich zwei gegensätzliche Grundbedürfnisse, die beide für die gesunde Entwicklung des Kindes wesentlich sind: Das erste ist die Sehnsucht nach Bindung und Zugehörigkeit (Nähe) und die Sehnsucht nach Autonomie und Eigenständigkeit (Distanz). Fehlt eines davon, wird das Kind verunsichert bleiben und es wird verstärkt Schutzstile etablieren.
Eine gesunde Bindungserfahrung ist etwas vom Wichtigsten, was die Eltern ihren Kindern vermitteln können. Eine verlässliche, sichere Beziehung etabliert ein festes Fundament, so dass sich im heranwachsenden Menschen Urvertrauen bilden kann. Erleben die Mädchen und Jungen in den ersten Jahren diese sichere Bindung zu den Eltern, können sie diese langsam verinnerlichen und wachsen bereits mit einer emotional gesunden Beziehungserfahrung auf. Dies stärkt im Heranwachsenden die Fähigkeit, mit Belastungen, Enttäuschungen und Misserfolg besser umzugehen. Wenn das Kind die Mutter als sichere emotionale Basis erlebt, kann es langsam damit beginnen die Umgebung auskundschaften.
Für eine gesunde Entwicklung des Kindes ist aber nicht nur eine gesunde Bindungserfahrung wesentlich, sondern ebenso das Erleben von Autonomie und Eigenständigkeit. Diese beiden Bedürfnisse scheinen zunächst unauflösbare Gegensätze zu sein. Für die Persönlichkeitsentwicklung sind jedoch beide Pole wichtig. Entwicklungspsychologisch gesehen folgt die Ausbildung unseres Autonomiestrebens unmittelbar auf die Phase, in der unser Bindungsverhalten geprägt wird. Die Nähe und Versorgung durch die Mutter schenken dem Baby ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Aber um sich selber und die eigenen Fähigkeiten entdecken und entwickeln zu können, braucht das Kind zunehmend auch die Unterstützung des Vaters. Idealerweise ermutigt er das Kind, eigenständig die Welt zu entdecken und zu erkunden und mutig Neues zu wagen. Dies fördert Autonomie und Selbstwirksamkeit, was wichtig ist in der Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls. Je mehr Freiheit dem Kind gewährt wird, auch dieses Bedürfnis zu leben, desto selbstbewusster entwickelt sich das Kind.
Erwachsene leben oft nach wie vor mit diesem inneren Spannungsfeld zwischen diesen gegensätzlichen Bedürfnissen nach Bindung/Nähe und Autonomie/Distanz. Denn die Bindungserfahrung aus der Kindheit nehmen wir ins Erwachsenenleben mit. Das heisst, wenn diese Grundbedürfnisse nach Bindung (Nähe) und Autonomie (Distanz) nicht dem Alter entsprechend befriedigt wurden, entstehen dysfunktionale Bindungsstile (siehe unten). Ein unsicher gebundenes Kind wird sich dann auch als erwachsene Person nach seinem inneren Bindungs-Muster verhalten. Dies kommt oft auch in Partnerschaften zum Vorschein, wenn die erste Begeisterung füreinander abgeflacht ist.
Auf einmal reagieren der Mann oder die Frau ganz anders, als in der Verliebtheitsphase. Es kann z.B. sein, dass er sich plötzlich mehr zurückzieht oder die Frau beginnt, sich an den Mann zu klammern oder umgekehrt. Beide greifen nun vermehrt auf die verinnerlichten Muster der in der Kindheit etablierten Bindungserfahrung zurück. Angst vor dem Verlassen werden, Ärger bei empfundener Vernachlässigung, Befürchtung von Liebesentzug oder Klammern, wenn der Partner mal eigenständig etwas unternehmen will. Hier wiederholen wir unbewusst alte Muster aus unserer Kindheit.
Es muss jedoch nicht bei der alten Erfahrung bleiben. Gelingt es einem Paar, sich und ihre Muster gut zu reflektieren und dadurch bedrohliches zu reduzieren und sich gegenseitig Sicherheit und Unterstützung zu geben, können neue Bindungserfahrungen entstehen. Daher sind Freundschaften und positive Bindungserfahrung im Freundeskreis, WG’s, Hauskreis, Gemeinde, etc. eminent wichtig, um bisherige Bindungserfahrungen korrigieren zu können.
Grundsätzlich kennt jeder Mensch beide Grundbedürfnisse. Sie sind Teil unseres Wesens. Manchmal sehnen wir uns stärker nach Verbundenheit und Gemeinschaft. Dann aber meldet sich auch das Bedürfnis nach Eigenständigkeit und Autonomie wieder. Beide liegen nicht selten im Widerstreit miteinander. Welchem dieser beiden Bedürfnisse wir nun eher Gehör schenken oder was in täglichen Begegnungen die Oberhand gewinnt, kann ganz unterschiedlich motiviert sein. Dies wird dann zu einem Problem, wenn wir vor lauter Bedürftigkeit nach Verbundenheit unsere Eigenständigkeit verlieren oder vor lauter Autonomiebedürfnis und Wunsch nach Unabhängigkeit unsere Verbundenheit verlieren, uns selber zunehmend isolieren und einsam werden.
Die Psychologin Stefanie Stahl unterscheidet nachfolgend einige Bindungstypen (Buch: Jeder ist beziehungsfähig, Stefanie Stahl), wobei es natürlich auch Mischformen davon gibt. In welchem erkennst du dich am ehesten wieder?
Einerseits sehnst du dich nach einer Partnerschaft, andererseits wird es dir schnell zu viel. So kann es passieren, dass du nach intensiven Momenten wieder Distanz zu deinem/r Partner/in suchst, indem du dich z.B. in Aktivitäten flüchtest. Wenn dir dein Partner zu nahe kommt, fühlst du dich nach der verliebten Anfangszeit schnell eingeengt und beginnst zu zweifeln, ob die Partnerschaft das Richtige ist. du verbindest mit einer Beziehung nicht nur Liebe und Geborgenheit, sondern vor allem Freiheitsverlust. Du benötigst viel persönlichen Freiraum, was deine/n Partner/in vermutlich verunsichert. Er/Sie möchte mehr Zweisamkeit und fordert das ein. Je mehr Forderungen du von deinem Gegenüber entgegengebracht bekommst, desto mehr Widerstand baut sich in dir auf. Im Innersten hast du nämlich nicht das Gefühl ,nein‘ sagen zu dürfen, weil du denkst alle Ansprüche erfüllen zu müssen. Dies führt paradoxerweise dazu, dass du dich umso härter abgrenzt.
Du sehnst dich nach viel Nähe und Geborgenheit, die du in einer Partnerschaft meistens nur für kurze Zeit findest. Vielleicht läufst du auch einem/r Partner/in hinterher, der/die sich nicht auf eine Beziehung mit dir einlässt. Es passiert dir immer wieder, dass du dir Partner/innen aussuchst, die wenig geneigt sind Verantwortung für die Beziehung zu übernehmen. Unglücklicherweise findest du jene, die beziehungstauglicher wären, eher langweilig und stehst auf die Autonomen, die sich nicht gerne eng binden. Der Umstand, dass Dein/e Partner/in immer wieder Distanz herstellt bzw. sich nicht einlässt, löst bei dir Verlustangst und den Wunsch Kontrolle über die Situation zu bekommen, aus. Dein Wunsch nach Bindung lässt dich immer wieder Verständnis aufbringen und du hilfst ihm/ihr bis zur Selbstausbeutung. Du übergehst dabei dich und deine Bedürfnisse.
Du bist der ausgewogene Balancekünstler und kannst dich auf deine/n Partner/in einlassen, ohne zu klammern. Es fällt dir leicht dich in dein Gegenüber einzufühlen und Verantwortung für ihn/sie zu übernehmen. Diese Verantwortung nimmst du als freiwillige Entscheidung und nicht als erdrückende Verpflichtung wahr. Verantwortung bedeutet für dich Wertschätzung und Liebe und nicht, dass du deinem Partner/Deiner Partnerin alles recht machen musst. Du bist kompromissbereit und gleichzeitig fällt es dir leicht für Deine Rechte einzutreten. Du fühlst dich authentisch und frei in deiner Beziehung. Du reflektierst dich, kennst deine Schwächen und übernimmst für sie Verantwortung. Deine Partnerschaft zeichnet sich durch ein hohes Mass an Zuverlässigkeit aus, die Euch beiden Geborgenheit und Sicherheit schenken.
Lerne deinen Bindungsstil und die damit verbundenen Muster zu erkennen, die allenfalls in deinem Leben immer wieder getriggert werden. Erst dann kannst du deine Beziehungen balancierter und gleichwertiger gestalten und auf christliche Partnersuche gehen.
Christoph Hickert ist Dipl. Coach & Supervisor BSO und psychologischer Berater in eigener Beratungs-Praxis in Männedorf am schönen Zürichsee.
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