Es gibt verschiedene Wege, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Es gibt psychologische Aspekte, wie sie heute in verschiedenen Ratgebern beschrieben werden. Dann gibt es die Wege, die die Bibel aufzeigt. Dort können wir einige therapeutische (griechisch: heilende) Aspekte entdecken, wie Gott Menschen hilft, zu einem gesunden Selbstwertgefühl zu kommen.
Im Kern geht es beim Thema Selbstachtung darum, wie ich mich selbst sehe und bewerte. Wie der Begriff schon sagt, geht es um den Wert, den ich mir selbst beimesse. Es geht nicht so sehr darum, dass wir nach aussen selbstbewusst und überzeugend auftreten können, sondern dass wir ein Gefühl für unseren unantastbaren Wert bekommen und uns unserer Einzigartigkeit immer bewusster werden. Sich selbst anzunehmen ist dabei der Schlüssel zu einem gesunden Selbstwertgefühl. Aber wie geht das, sich selbst annehmen?
Zunächst geht es darum, sich von den inneren Bildern und Grössenphantasien zu befreien, die wir oft von uns selbst haben. Wir müssen bereit werden, uns von den Illusionen und Tagträumen zu verabschieden, in denen wir uns als die Grössten und Besten phantasieren. Oft ist damit die Vorstellung verbunden, dass ich nur dann liebenswert bin, wenn ich besser, größer, schöner, reicher usw. bin. Oft schwingen dahinter alte Glaubenssätze mit, die sich wie lästige Parasiten in unseren Gehirnwindungen eingenistet haben. «So wie ich bin, bin ich nicht gut genug, nicht liebenswert, nicht schön genug etc». Höre einmal in dich hinein, welche Glaubenssätze sind in dir noch vorhanden? Was sagst du dir immer wieder über dich selbst? Es ist erstaunlich, wie schnell wir all diese Gedanken glauben, die sich in uns melden. Hinterfrage sie doch! Sind sie wirklich wahr? Könnte es nicht ganz anders sein? Glaube nicht alles, was du denkst!
Viele raten, bei mangelndem Selbstwertgefühl vor allem auf die Stärken zu schauen und sich darauf zu konzentrieren. Im Grunde ist das sicher hilfreich. Denn worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, bestimmt und prägt unser Denken, Fühlen und Handeln. Es ist wie im Garten: Die Pflanzen, die ich am häufigsten giesse und dünge, wachsen schneller. Das heisst, wenn du dich immer nur auf das konzentrierst, was du nicht kannst und nicht bist, werden deine «Schwächen» ständig genährt und wachsen. Dass dadurch dein Selbstwertgefühl und deine Gefühle dir gegenüber nicht unbedingt besser werden, ist sicher verständlich. Deshalb empfehle ich dir, eine Liste mit all deinen Stärken, Fähigkeiten und Begabungen zu erstellen. Was kannst du besonders gut? Wofür loben dich andere? Wo bitten dich andere um Unterstützung? Was machst du mit Leidenschaft? Was bereitet dir Freude? Wo liegen deine Talente? Womit warst du bisher erfolgreich? In all diesen Aspekten stecken sozusagen «Spurenelemente» deiner Stärken. Oder frag mal gute Freunde oder Familienmitglieder (die dir wohlgesonnen sind), wo deine Stärken liegen? Das kann ein Augenöffner sein, um die eigene Wahrnehmung und Sichtweise zu korrigieren. Manchmal sind wir so mit uns selbst und unseren Defiziten beschäftigt, dass wir unsere Stärken völlig aus den Augen verlieren.
Es ist wichtig, sich auf seine Stärken, Fähigkeiten und Talente zu konzentrieren. Gleichzeitig geht es aber auch darum, sich mit seinen Schwächen zu versöhnen. Selbstakzeptanz hat etwas mit Demut zu tun, mit dem Mut, die eigene Menschlichkeit anzunehmen und auch die eigenen Schwächen zu umarmen. Es ist gar nicht so einfach, zu lernen, die Seiten an sich anzunehmen, mit denen man manchmal hadert oder die man am liebsten loswerden möchte.
Für mich hat derjenige ein gutes Selbstwertgefühl, der sich auch erlaubt, schwach zu sein und der diese Seiten auch mit einem gewissen Humor betrachten kann. Aber meistens ist es ein längerer Prozess, sich mit allem, was wir sind und auch in uns entdecken, zu versöhnen. Denn unser eigenwilliger Charakter, destruktive Muster, belastende Prägungen oder egoistische Verhaltensstile werden oft erst in Beziehungen sichtbar. Je intensiver wir mit anderen zusammenleben, desto mehr entdecken wir gegenseitig auch unsere Schattenseiten. Und die hat jeder, egal wie sexy, cool, selbstbewusst etc. sich jemand auf Facebook oder Instagram (oder einer Dating-Plattform) präsentiert. Frisch verheiratete Paare sind oft nach den ersten Monaten ernüchtert, wie viele Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten schon nach kurzer Zeit auftauchen. Obwohl sie ihre Beziehung auf dem gemeinsamen Glauben aufbauen wollten, sind sie bald enttäuscht und auch ernüchtert, wie viele Schwächen oder auch Gemeinheiten bei beiden noch zum Vorschein kommen. Rachegefühle, Misstrauen, Neid und viele andere Störfaktoren tauchen auf. Da können wir lernen, einander immer wieder zu verzeihen und uns von gegenseitigen Schuldzuweisungen zu befreien.
Sich selbst anzunehmen bleibt eben ein lebenslanger Prozess. Und das ist eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Miteinander. Immer wieder tauchen in Beziehungen Facetten und Seiten an uns und anderen auf, die uns ärgern oder von denen wir enttäuscht sind. Ein Mönch sagte einmal: «Als ich ins Kloster eintrat, dachte ich, dass ich alle meine negativen Seiten durch Gebet und Askese überwinden könnte. Aber dann kamen sie immer wieder, und ich habe die Illusion aufgegeben, dass ich so werden kann, wie ich es mir wünsche oder wie es meinem Idealbild entspricht».
Annehmen heisst eben auch, in aller Demut Ja zu sagen zu dem, was ist, in der Gewissheit, dass ich, so wie ich bin, von Gott ganz geliebt und bedingungslos angenommen bin. Dass er für meine Fehler, meine Schuld und all mein Wollen und Nichtkönnen am Kreuz gestorben ist, dass er die Rechnung voll und ganz beglichen hat. Auf dieser Grundlage kann ich nun auch mit mir selbst barmherzig sein. Wenn ich mich wieder einmal ärgere, dass ich so kindisch, wütend, abweisend usw. reagiert habe, dann sage ich mir: «Das bin immer noch ich. Das darf so sein. Es muss nicht immer so sein, aber es zeigt sich jetzt noch in meinem Leben. Das ist okay.» So spüre ich inmitten meiner Enttäuschung ein Stück Frieden und Gelassenheit aufsteigen. Es befreit mich von dem Druck, perfekt sein zu müssen.
Um sich selbst annehmen zu können, ist es auch wichtig, das Vergleichen loszulassen. Solange ich mich mit anderen vergleiche, bin ich immer im Nachteil. Es gibt immer Talente, Fähigkeiten, Stärken, Äusserlichkeiten, die andere haben und ich nicht. Wenn ich vergleiche, bin ich nicht mehr ich selbst, sondern ich definiere mich im Vergleich zu anderen. Ich werte andere auf und werte mich selbst ab. Gott zu vertrauen, dass er mich wunderbar geschaffen hat, dass er mich genau so gewollt hat, wie ich bin, dass er meine innersten Gedanken kennt und dass er mich schon im Mutterleib kunstvoll geformt hat, wie es in Psalm 139 heisst, gibt Hoffnung. Ich bin kein Zufallsprodukt. Der Schöpfer hat sich etwas dabei gedacht, als er mich formte. Und er hat einen Plan mit mir und meinem Leben und will mich genau so gebrauchen, wie ich bin. Im Vertrauen auf diesen Schöpfergott kann auch unser Selbstvertrauen wachsen.
Wenn wir dieser göttlichen Stimme in uns immer mehr glauben als den alten, kritischen, selbstabwertenden Stimmen in uns, dann kann immer mehr ein gesundes Selbstwertgefühl wachsen. Dann sind wir nicht mehr so abhängig von der Meinung anderer, sondern orientieren uns an der Meinung unseres Schöpfers. In Jesaja 43 lesen wir: «Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erwählt. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen (Name bedeutet im Hebräischen immer das ganze Wesen), du bist mein! Wenn du durchs Wasser gehst, bin ich bei dir. Wenn du durch Ströme gehst, werden sie dich nicht fortreissen. Wenn du durch Feuer gehst, wirst du nicht versengt, keine Flamme wird dich verbrennen... Weil du mir teuer und wertvoll bist und weil ich dich liebe, gebe ich ganze Länder für dich hin».
Was löst es in dir aus, wenn du diese Worte nicht nur mit dem Verstand liest, sondern sie in deinem Herzen bewegst, sie eindringen lässt, damit sie Wurzeln schlagen und wachsen können? Sage dir immer wieder: «Das ist die Wirklichkeit meines Lebens. Ich kann sie vielleicht im Augenblick nicht spüren. Aber die Wahrheit ist, dass ich ein wertvolles, geliebtes Kind meines himmlischen Vaters bin, und dass er über mich spricht, mich liebt und mich genau so gebrauchen will, wie ich bin.» Das gibt uns tiefe Ruhe und lässt uns spüren, dass Gott bei uns ist und uns einen unantastbaren Wert gegeben hat. Das stärkt die wahre Identität und den wahren Selbstwert von dir und mir.
Christoph Hickert ist Dipl. Coach & Supervisor BSO und psychologischer Berater in eigener Beratungs-Praxis in Männedorf am schönen Zürichsee.
Mehr über den Autor